Presseartikel: Gut leben mit Diabetes – Experteninterview mit Prof. Zieren

Schilddrüsenerkrankungen bei Diabetikern

Warum der Zusammenhang zwischen Diabetes und Schilddrüsenproblemen unterschätzt wird und wie Sie durch eine Behandlung ungünstige Blutzuckerwerte und deren Folgeerkrankungen vermeiden.

Täglich kommen in die Praxis von Petra-Maria Schumm-Draeger Diabetes-Patienten, deren Blutzuckerwerte schwanken, obwohl sie bei ihrer Therapie alles richtig machen. „Oft geht es den Menschen schon über eine längere Zeit nicht gut“, berichtet die Endokrinologin und Ärztliche Direktorin am Zentrum Innere Medizin Fünf Höfe in München. Das Insulin der Patienten war korrekt dosiert – und dennoch fahren ihre Blutzuckerwerte Achterbahn.

Für Schumm-Draeger ist dies ein sicherer Hinweis darauf, dass die Schilddrüse untersucht werden sollte. Die Diabetologin weiß, dass eine Fehlfunktion des Organs den Blutzucker aus dem Gleis bringen kann. Menschen mit Diabetes leiden deutlich häufiger an Schilddrüsenerkrankungen als stoffwechselgesunde Menschen. Wird eine Fehlfunktion rechtzeitig diagnostiziert und behandelt, lassen sich ungünstige Blutzuckerwerte und deren Folgeerkrankungen vermeiden.

Deutsches Schilddruesenzentrum, Aktuelles Fachartikel Gut Leben mit Diabetes

Schilddrüsenhormone und deren Funktionen

Das kleine Organ an unserem Kehlkopf beeinflusst fast alle Vorgänge im Körper. Zwar wiegt die schmetterlingsgroße Drüse nur zwischen 18 und 25 Gramm. Wenn es um das körperliche und seelische Wohlbefinden geht, ist sie aber ein Schwergewicht.

In der Schilddrüse werden verschiedene Hormone gebildet. Die beiden wichtigsten sind Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3). Sie wirken auf Herz und Kreislauf, erweitern die Blutgefäße, beschleunigen den Herzschlag und regeln den Blutdruck. Die Stoffe aktivieren aber auch den Fett- und Bindegewebestoffwechsel, die Schweiß- und Talgdrüsen der Haut und die Nieren- und Darmtätigkeit.

Außerdem sind die Schilddrüsenhormone für viele Wachstumsprozesse verantwortlich und steigern den Grundumsatz und Energieverbrauch des gesamten Organismus. Die Botenstoffe wirken außerdem auf den Fett- und Eiweißstoffwechsel, auf die Cholesterinwerte, die Gehirnaktivität und die Psyche. „Vereinfacht ausgedrückt, wirken Schilddrüsenhormone wie das Gaspedal unseres Körpers“, beschreibt Professor Hans Udo Zieren, Gründer des Deutschen Schilddrüsenzentrums. „Bei einem Zuviel an Hormonen laufen Körper und Seele ,übertourig‘, bei zu wenig Hormonen entsprechend ,untertourig‘.“

Schilddrüse: Über- und Unterfunktion

Eine Über– oder Unterfunktion der Schilddrüse kann für vielfältige körperliche und seelische Beschwerden verantwortlich sein – und deshalb auch unterschiedliche medizinische Bereiche betreffen.

Doch warum wird die Schilddrüse krank? Als Auslöser gelten Jodmangel, eine genetische Veranlagung oder eine Autoimmunkrankheit. „Bei etwa jedem dritten Erwachsenen in Deutschland bildet sich im Laufe des Lebens mindestens eine krankhafte Schilddrüsenveränderung. Die Häufigkeit steigt mit zunehmendem Alter“, so Chirurg Hans Udo Zieren. Ein Knoten, Kropf oder Tumor verändert die Größe und Beschaffenheit der Schilddrüse: Er wird sichtbar oder kann ertastet werden. Für hormonelle Fehlfunktionen, also Über- oder Unterfunktionen, gilt das nicht.

„Häufig bestehen Überschneidungen und Mischformen. Eine Veränderung der Struktur sagt noch nichts über die Funktion des Organs aus und umgekehrt“, erklärt Mediziner Zieren. Patienten mit großen Knoten oder sogar Schilddrüsenkrebs können vollkommen normale Werte haben, Menschen mit einer normal großen und knotenfreien Schilddrüse an einer Über- oder Unterfunktion leiden. Eine bösartige Veränderung diagnostizieren Ärzte nur bei etwa einem Prozent aller Schilddrüsenpatienten.

Etwa 25 Prozent aller Schilddrüsenerkrankungen sind nach Schätzungen des Forums Schilddrüse Über- oder Unterfunktionen, die sich meist mit Tabletten gut behandeln lassen.

Schilddrüsenerkrankung: Vorbeugung

Etwa jede vierte Person in Deutschland hat einen sogenannten Kropf (medizinisch: Struma). Dieser ist nicht immer sichtbar, lässt sich aber ertasten. Ursache ist meist eine Unterversorgung mit Jod – jenem Grundstoff, den die Schilddrüse für die Hormonproduktion benötigt. Um den Mangel auszugleichen, vergrößert sich das Organ.

In Deutschland herrschte bis in die 1980er-Jahre Jodmangel. „Aber auch heute gibt es noch keine flächendeckende Versorgung“, bedauert Internistin Petra-Maria Schumm-Draeger. Ein zusätzlicher Jodmangel kann bei Menschen mit Diabetes entstehen, wenn die Niere durch eine schlechte Blutzuckereinstellung geschädigt ist und der Körper zu viel von dem Spurenelement ausscheidet. Jodhaltige Ernährung mit ausreichend Seefisch und viel grünem Gemüse beugt Mangelerscheinungen vor. Vor allem für Kinder, Schwangere und Stillende ist eine ausreichende Jodversorgung wichtig.

Schilddrüsenwerte und Blutzuckerwerte

Menschen mit Diabetes sollten ihre Schilddrüse regelmäßig untersuchen lassen. Denn wenn die Hormonproduktion aus der Balance gerät, leidet auch die Regulation des Blutzuckers. „Zu viele Schilddrüsenhormone im Blut führen zu einer Insulinresistenz“, sagt Endokrinologin Schumm-Draeger.

Die Körperzellen nehmen weniger oder kein Insulin mehr auf. Zudem steigert der Körper die Produktion von Hormonen, die zu den „Gegenspielern“ des Insulins zählen, wie etwa Glukagon.

Die Folge: Die Leber setzt Zuckerreserven frei, die Blutzuckerwerte steigen – und durch den Überschuss an Schilddrüsenhormonen vergrößert sich auch das Risiko für erhöhten Blutdruck und Herzrhythmusstörungen, wie zum Beispiel Vorhofflimmern. Eine Schilddrüsenunterfunktion erhöht dagegen das Risiko für Unterzuckerungen. „Der Organismus stellt weniger Zucker her, und die Sensibilität für Insulin steigt“, erklärt die Münchner Diabetologin. Dies kann vor allem bei Menschen mit Typ- 1-Diabetes und Typ-2-Patienten, die ihren Blutzuckerspiegel mit Insulin oder Sulfonylharnstoffen regulieren, zu lebensgefährlichen Hypoglykämien führen.

Wie Ärzte die Schilddrüse untersuchen

Abtasten
Mit den Händen verschafft sich der Arzt einen ersten Eindruck vom Zustand der Schilddrüse. Bei vielen Patienten ist sie mehr oder weniger stark vergrößert – nicht immer ein Anlass zur Sorge.

Bluttests
Bei Verdacht auf eine Fehlfunktion der Drüse bestimmt ein Labor den sogenannten TSH‑Wert. Er gibt Auskunft darüber, wie stark der Körper die Produktion von Schilddrüsenhormonen anregt. Sein Anteil im Blut lässt Rückschlüsse darauf zu, ob die Schilddrüse richtig arbeitet. Bei Auffälligkeiten werden weitere Blutwerte überprüft.

Szintigrafie
Mittels eines schwach radioaktiven Markers lässt sich die Aktivität der Hormonfabrik bildlich darstellen. Es zeigen sich Gewebestellen mit besonders hoher oder geringer Funktion, die heißen und kalten Knoten.

Spätfolgen: kranke Schilddrüse, krankes Herz

Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes verschlechtert eine Schilddrüsenunterfunktion häufig auch den Fettstoffwechsel. Dadurch erhöht sich der Anteil des sogenannten schlechten Cholesterins, medizinisch LDL (Low-Density-Lipoproteine) im Blut, und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt „Es ist leider keine Seltenheit, dass ich Patienten mit Diabetes behandle, die bereits eine koronare Herzerkrankung entwickelt haben, weil eine Schilddrüsenfehlfunktion nicht diagnostiziert wurde“, so Schumm-Draeger. An den Herzgefäßen haben sich dann bereits so viel Fett und Kalk abgelagert, dass der Körper nur noch schlecht mit Sauerstoff versorgt wird. Diabetes-Patienten sollten, so rät die Ärztin, bei unklaren Beschwerden oder einem schlecht einzustellenden Blutzucker immer an die Schilddrüse zu denken. Dies ist eine gekürzte Fassung aus „Gut leben mit Diabetes“ Nr. 4/20. Das Magazin aus dem „Zukunftspakt Apotheke“ von Noweda und Burda erhalten Sie jeden Monat neu kostenlos in teilnehmenden Apotheken.

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