Presseartikel: Interview mit Prof. Zieren zum Thema „Schilddrüsenforen im Internet“ im Quell-Magazin

Informationen in Balance

Im Internet gibt es zahlreiche öffentliche Foren, in denen Menschen ihre Gesundheitsprobleme diskutieren – auch zum Thema Schilddrüse. Dort werden oft regelrechte Horrorgeschichten erzählt. Für Betroffene ist es daher nicht ratsam, öffentliche Foren unkritisch als Informationsquelle zu nutzen.

Deutsches Schilddruesenzentrum, Information zu Schilddruesenforen

Die Schilddrüse muss operativ entfernt werden: Wer diese Diagnose bekommt und mit einem OP-Termin nach Hause geschickt wird, fühlt sich oft alleingelassen. Denn Informationen, die über das rein Medizinische hinausgehen und die erläutern, was dieser lebenslang spürbare Eingriff konkret für die oder den Operierten bedeutet, gibt es häufig nicht. Dann ist die Versuchung groß, ins Internet zu gehen und in Chatforen Berichte von Operierten zu lesen. Doch das ist nicht unbedingt ratsam. Denn auf öffentlichen Plattformen werden hauptsächlich problematische Verläufe geschildert und diskutiert. Dass es in Foren kaum positive Berichte von Schilddrüsen-Operierten gibt, ist nur verständlich, denn Operierte, die keine Beschwerden haben, suchen in der Regel keinen Rat im Internet. Probleme, von denen in Foren berichtet werden, sind häufig Gewichtszunahme, chronische Unterfunktion, Depressionen und Angstzustände nach der Operation. Es ist nachvollziehbar, dass solche Berichte sehr verunsichern können. Menschen, denen zu einer Schilddrüsenoperation geraten wird, sollten sich daher lieber an Anlaufstellen wenden, die seriös Auskunft geben können.

Tränen und völlige Verzweiflung

Die Deutsche Schilddrüsenliga (www.schilddruesenliga.de) ist eine davon. Die Liga ist der Dachverband der Selbsthilfegruppen für Schilddrüsenkranke und deren Angehörige. Dort rät man davon ab, in unmoderierten Foren eine Horrorgeschichte nach der Nächsten zu lesen. „Wenn Menschen mich anrufen, weinen und völlig verzweifelt sind, weiß ich, dass sie in solchen Foren unterwegs waren“, sagt Barbara Schulte, die seit 25 Jahren Vorsitzende der Schilddrüsenliga und selbst Betroffene ist. „Dann dauert das Beratungstelefonat viel länger als sonst, denn ich muss die Leute erstmal wieder aus ihrer Angst holen.“ Barbara Schulte kann nachvollziehen, dass Menschen Rat in Internetforen suchen. Immerhin mangele es in Kliniken und Praxen oft an vernünftiger und umfassender medizinischer Aufklärung, da Ärztinnen und Ärzte diese nicht gesondert abrechnen könnten. „Eine Beratung aus menschlicher Sicht fehlt in der Medizin“, meint sie. Betroffene, die sich ein ungeschöntes Bild von den Folgen einer Schilddrüsenoperation machen möchten, vermuten also oft zurecht, dass nur andere Betroffene ihre Fragen ehrlich und geduldig beantworten. In der Tat ist der psychologische Nutzen davon, ehrliche Antworten auf drängende Fragen zu bekommen, nicht zu unterschätzen. Statt Rat in unbegleiteten Foren zu suchen, kann man bei der telefonischen Beratung der Schilddrüsenliga anrufen, außerdem gibt es von der Liga organisierte Selbsthilfegruppen deutschlandweit. 25 sind es aktuell, mehr würden gebraucht. Doch es ist schwierig, Ehrenamtliche zu finden, die sich engagieren möchten.

Gespräche nehmen die Angst

In den Beratungsangeboten der Schilddrüsenliga treffen Menschen, die die OP noch vor sich haben, auf solche, die bereits operiert sind – und ihnen häufig die Angst nehmen können. Denn tatsächlich gibt es mehr positive Geschichten, als es zunächst scheint. Viele Menschen bekommen ihre jahrelangen Beschwerden erst nach einer vollständigen Entfernung in den Griff, darauf weist auch Prof. Dr. med. Hans Udo Zieren, Ärztlicher Direktor des Deutschen Schilddrüsenzentrums und Chefarzt der Spezialklinik für Schilddrüsenchirurgie im nordrhein-westfälischen Hürth bei Köln, hin. „Die Berichte in den Internetforen sind nach meiner Erfahrung nicht repräsentativ, der Großteil der Menschen, denen die Schilddrüse entfernt wurde, kommt gut zurecht“, sagt Prof. Zieren. Wichtig ist es laut Prof. Zieren nach der OP vor allem, dass die Patientinnen und Patienten gut medikamentös eingestellt sind. Fühlt man sich nach der Operation nicht wohl, gibt es viele Stellschrauben, um nachzujustieren, also die Medikation gut in den Griff zu bekommen. Möglichkeiten sind zum Beispiel, die Dosis der hormonellen Substitution zu variieren, die Einnahmezeitpunkte zu optimieren und eventuell andere Präparate zu verschreiben. Am Deutschen Schilddrüsenzentrum in Hürth gibt es zur Beratung und OP-Vorbereitung sowohl für Kassen- als auch für Privatpatienten eine spezielle Schilddrüsensprechstunde, auch viele andere Kliniken bieten solche Angebote an. Um die Informationen allen Betroffenen zugänglich zu machen, stellen Zieren und sein Team im Internet auf www.deutsches-schilddruesenzentrum.de nicht nur Informationen über die Schilddrüse, Diagnostikverfahren und Behandlungsoptionen sowie eine Arztsuche zur Verfügung, sondern bieten auch ein Fachwörterlexikon, in dem Patientinnen und Patienten für sie unverständliche Begriffe nachschlagen können.

Auch die Schilddrüsenliga bietet ein „Schilddrüsenlexikon“. „Uns ist es sehr wichtig, dass Menschen verstehen, was Ärzte ihnen sagen oder schreiben“, betont Barbara Schulte. Daher geht sie im Zweifel auch Befunde mit denen durch, die sich an sie wenden. Ein Forum, in dem Betroffene sich digital austauschen, gibt es auf der Webseite der Schilddrüsenliga dagegen bewusst nicht – und wird es auch in absehbarer Zeit nicht geben. Denn solche Foren sind aus Sicht von Barbara Schulte nur seriös, wenn sie engmaschig von einem thematisch erfahrenen Moderator begleitet werden. Das kann die Schilddrüsenliga aus personellen Gründen nicht leisten. Schulte sagt klar: „Es gibt kein Schilddrüsenforum im Internet, das ich guten Gewissens empfehlen könnte. Die Leute sollten die Finger davonlassen, sich die Angstmacherei ersparen und sich lieber gleich seriös informieren.“

Quelle: Anne Zegelman, Quell-Magazin (2023) 68:20-21

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