Presseartikel: Interview mit Prof. Zieren „Schilddrüse: Kleines Organ, große Wirkung“

Kaum größer als eine Walnuss, doch maßgeblich an unserem Energie- und Hormonhaushalt beteiligt – die Schilddrüse beeinflusst Herz, Darm, Psyche und sogar das Haarwachstum. Warum dieses kleine Organ so oft unterschätzt wird, woran man Störungen erkennt und weshalb ein latenter Jodmangel wieder auf dem Vormarsch ist, erklärt Prof. Hans Udo Zieren, Gründer des Deutschen Schilddrüsenzentrums und Chefarzt für Schilddrüsenchirurgie am Sana-Krankenhaus Hürth, im Interview mit Frau im Spiegel.

Schilddrüse: Kleines Organ, große Wirkung

Ständig müde, schlapp, erschöpft. Kommt dann noch Vergesslichkeit oder Gewichtsprobleme hinzu, diagnostizieren die Ärzte oft „Hashimoto“. Die chronisch entzündliche Autoimmunerkrankung schädigt das Gewebe der Schilddrüse, sodass sie nicht mehr richtig arbeitet. Viele Betroffene sind nach oft langer Ärzte-Odyssee trotzdem froh: Es gibt immerhin eine Diagnose. Doch muss das Hashimoto-Syndrom vielleicht oft zu voreilig als Bösewicht herhalten?

Schwer zu erkennen? „Eher nicht“, antwortet Prof. Hans Udo Zieren, Gründer des Deutschen Schilddrüsenzentrums und Chefarzt für Schilddrüsenchirurgie im Sana-Krankenhaus Hürth. „Eine Hashimoto-Thyreoiditis lässt sich in der Regel unschwer an typischen Labor- und Ultraschallbefunden erkennen. Diese Entzündung entwickelt sich aber meist schleichend und macht anfangs keine oder kaum Symptome, so dass man bei zunächst recht diffus erscheinenden Symptomen gar nicht an die Schilddrüse denkt. Umgekehrt ist zu bedenken, dass nicht immer alle geklagten Beschwerden auch tatsächlich auf Hashimoto zurückzuführen sind“. Bei etwa jedem Dritten können beim Ultraschall krankhafte Veränderungen an der Schilddrüse festgestellt werden. „Das reicht von der harmlosen kleinen Zyste bis zum großen Kropf, der erhebliche Probleme beim Schlucken machen kann“, so der Facharzt für Viszeralchirurgie. „Auch Autoimmunerkrankungen, Entzündungen oder lebensbedrohliche Krebserkrankungen kommen vor, wobei Letztere aber vergleichsweise selten sind.“

Sie mischt überall mit: Was die Schilddrüse so besonders macht? Auch seelische Symptome können bei ihr den Ursprung haben. Ihr Einfluss reicht bis zu Darmfunktion, Nervensystem, Nebennieren, Schweiß- und Talgdrüsen – und zum Haarwachstum. Eine Unter- oder Überfunktion kann Wassereinlagerungen, Herzrhythmusstörungen oder einen veränderten Puls nach sich ziehen.

Produziert Hormone: Die Schilddrüse ist ein Labor unterm Kehlkopf. Nicht größer als eine Walnuss, kaum schwerer als eine Erdbeere, aber immens wichtig: Sie produziert die lebenswichtigen Hormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3). Damit das gut funktioniert, braucht sie die Spurenelemente Selen und Jod. Beides kann der Körper nicht selbst herstellen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für Erwachsene eine tägliche Selenzufuhr von 60 Mikrogramm und 200 Mikrogramm Jod.

Defizite sind häufig: „Die Jodversorgung hat sich in den letzten Jahrzehnten grundsätzlich verbessert“, sagt der Schilddrüsenspezialist, „aber nach wie vor ist ein Teil der Bevölkerung nicht optimal versorgt.“ In den 1990er-Jahren verkündeten viele Bäckereien „Wir backen mit Jodsalz“ und folgten damit einem Aufruf des Arbeitskreises Jodmangel, der sich für eine bessere Jodversorgung einsetzt. Viele Lebensmittelhersteller setzten auf jodiertes Speisesalz. Der Ausgleich ist notwendig, da die Böden in Deutschland sehr jodarm sind. Doch seit einigen Jahren dokumentiert das Robert Koch-Institut eine rückläufige Versorgung. „Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Deutschland wieder zum Jodmangelgebiet geworden“, weiß Prof. Zieren, „viele Erwachsene kommen nicht auf den minimalen Tagesbedarf von 100 Mikrogramm Jod am Tag.“ Ein Drittel der Bevölkerung gilt als unzureichend versorgt. Da Jodsalz etwas teurer ist, verzichten inzwischen viele Lebensmittelbetriebe darauf. Kampagnen von Jodskeptikern tragen dazu bei, dass Verbraucher jodierte Produkte ablehnen. Verstärkt wird der Mangel durch derzeit angesagte Salze wie Meer- oder Himalajasalz, die aber jodfrei sind. Jodsalz in der eigenen Küche beugt vor, ebenso stärken jodhaltige Lebensmittel wie Seefisch, aber auch Milchprodukte und Brokkoli die Schilddrüse.

Typische Warnsignale: Druckgefühle im Hals sind oft erstes Anzeichen einer Schilddrüsenerkrankung, auch Haarausfall, Herzklopfen, Schwitzen oder Müdigkeit gehören zu den möglichen Symptomen. Der Kropf (Struma) ist ein Zeichen einer vergrößerten Schilddrüse, verursacht meist durch chronischen Jodmangel. Eine Unterfunktion wird mit medikamentösen Schilddrüsenhormonen, wie Thyroxin, kompensiert.

Betrifft viele Menschen: Knoten gehören zu den häufigen Problemen des Organs. Meist sind sie unauffällig und erfordern keine Therapie. Doch jeder dritte gutartige, heiße (hormonproduzierende) Schilddrüsenknoten löst eine Schilddrüsenüberfunktion aus. Besonders für ältere Menschen kann diese gefährlich sein, selbst wenn sie kaum merklich ist: Sie fördert unter anderem Herzrhythmusstörungen und Osteoporose. Überfunktionierende Knoten können durch eine Radiojodtherapie, eine Operation oder neuerdings auch durch sogenannte Hitzeverfahren gut behandelt werden. Sogenannte kalte Knoten können als Folge einer Zyste oder anderer harmloser Erkrankungen auftreten. In sehr seltenen Fällen verändern sie sich bösartig. Zwar ist nur etwa ein Prozent der Knoten bösartig, aber der definitive Nachweis oder Ausschluss von Bösartigkeit ist mitunter schwierig. Häufig bringt erst die feingewebliche Untersuchung Klarheit, doch dafür muss das verdächtige Gewebe operativ entfernt werden. Dazu sollten Patienten ein spezialisiertes Schilddrüsenzentrum aufsuchen (Kliniksuche zum Beispiel über das Internetportal deutsches-schilddruesenzentrum.de).

Kein Therapiebedarf: Übrigens muss nicht jeder krankhafte Befund an der Schilddrüse behandelt werden. So normalisieren sich etwa 20 Prozent der Fälle mit einer leichten TSH-Erhöhung als Hinweis auf eine Schilddrüsenunterfunktion auch ohne Therapie im Verlauf wieder von selbst. Bei älteren Menschen ist ein Anstieg des TSH-Wertes normal, dann können sogar bis zu vierfach erhöhte Werte toleriert und vor allem erst mal kontrolliert werden. Der Experte: „Eine medikamentöse Hormontherapie muss gut begründet, optimal eingestellt und regelmäßig überprüft werden.“

Deutsches Schilddruesenzentrum, Aktuelles Interview Prof Zieren Nebenschilddruese

Quelle: Frau im Spiegel (2025) 24:48-51

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